3. Overather Jagdforum: Rotwild – König ohne Land
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Die rund 100 Zuhörer waren ebenso begeistert wie nachdenklich, als nach 2 Stunden das 3. Overather Jagdforum der Jägerschaft des Hegeringes Overath zu Ende ging. Die namhaften Rotwildexperten Dr. Michael Petrak (LANUV, Forschungsstelle für Jagdkunde), Jörg Pape (Rotwildsachverständiger), Jürgen Greissner (Revierförster Königsforst) und Dr. Andreas Kinser (Deutsche Wildtierstiftung Hamburg) diskutierten über die Lebensweise, die Biologie und die Anforderungen der Rothirsche an ihren Lebensraum – und zeigten Bedrohungen und Gefährdungen für unsere größte heimische Wildart auf. Dadurch haben die interessierten Besucher – auch die anwesenden rotwilderfahrenen Jäger – noch viel Neues über diese faszinierende Tierart gelernt.
Nachdem alle ihr Bestes gegeben hatten, gab es auch eine Siegerehrung. Es war diesmal ein äußerst knappes Ergebnis. Ausgezeichnet wurden die Klasse 4b der OGGS Heiligenhaus am Donnerstag und die Klasse 4b der OGGS aus Marialinden am Freitag – aber die eigentlichen Gewinner waren alle Teilnehmer.
Last not least: Ein ganz großes Dankeschön an die vielen Helfer, die viel (Frei-) Zeit für die Vorbereitung und die Durchführung an den beiden Tagen geopfert haben. Ohne ihren Einsatz und ihr Engagement gäbe es keine Waldjugendspiele.
An diesem Abend ging es also um den Rothirsch – vermeintlich den König der Wälder. Aber in Wahrheit ist er ein König ohne Land. Im Königsforst eingesperrt in ein Ghetto, das ihm nur noch einen einzigen Korridor als Ausweg bietet. Und diesen Korridor benötigt er, um seine natürlichen Wanderungen ausführen zu können. Denn ohne solche Wanderungen wäre er bald dem Untergang geweiht: eine abgeschottete, relativ kleine Population ist immer anfällig für Inzucht. Dies haben kürzlich Untersuchungen in Schleswig-Holstein und insbesondere von Prof. Reiner in Hessen nachgewiesen. Wenn es zu keiner „Blutauffrischung“, also einem Austausch von Genen benachbarter Populationen kommt, hat dies schlimme Auswirkungen auf die Vitalität und Gesundheit des gesamten Bestandes.
Die Hirsche im Königsforst waren bisher recht wanderfreudig und zogen auf jahrhunderte alten Fernwechseln zu den Nachbarn an der Sieg und von dort ins Sauerland und die Eifel. Dabei durchquerten sie die einzige Stelle, die ihm der Mensch noch zwischen Autobahnen und Siedlungen offen gelassen hat: zwischen Hoffnungsthal und Untereschbach ist im Bereich Auel noch ein nur wenige hundert Meter breiter Korridor für die lebensnotwendigen Wanderungen offen. Jetzt plant die Stadt Overath aber just an dieser Stelle ein neues Gewerbegebiet, das wie ein Pfropfen diesen Engpass verschließen würde.
Nun ist die Vernetzung von Lebensräumen und die Sicherung von Biotop-Trittsteinen seit geraumer Zeit in aller Munde. So wurden auch vor unserer Haustür für rund 8 Mio € Grünbrücken über die viel befahrene Autobahn A3 und die parallel dazu verlaufende L284 gebaut und 2013 fertig gestellt. Damit konnten die beiden wichtigen Naturschutzgebiete Wahner Heide und Königsforst wieder miteinander verbunden werden.
Neben Fledermäusen, Lurchen und Amphibien sollte auch der Wildkatze eine sichere Passage geboten – und dem „König der Wälder“, dem Rothirsch, die Möglichkeit zur artgerechten Wanderung ermöglicht werden. Und dies geschieht auch Tag für Tag. Die Wildbrücken sind zu einer echten Erfolgsgeschichte geworden. Wenn aber das Gewerbegebiet Auel zu einer unüberwindlichen Barriere wird, dann führen die Wildbrücken in eine Art Sackgasse und verlieren somit erheblich an Nutzen für wandernde Tierarten. Die Begriffe „Biotoptrittsteine“ und „Lebensraumvernetzung“ werden dadurch zu reinen Worthülsen wohlklingender Sonntagsreden degradiert.
Die vier Experten konnten die Zuhörer (neben vielen Jägern waren auch zahlreiche nicht jagende Naturschützer, betroffene Anwohner des geplanten Gewerbegebietes und Lokalpolitiker anwesend) in anschaulicher Art und Weise mit auf die Reise in den Alltag der Rothirsche nehmen. „Ich habe heute unheimlich viel über die Hirsche und ihre Lebensweise erfahren. Jetzt verstehe ich erst, was dieses Gewerbegebiet den Tieren, ja der ganzen Population alles antun wird“ fasst es eine Zuhörerin treffend zusammen. Das allgemeine Kopfnicken zeigt, dass sie mit dieser Meinung nicht alleine ist.
Aber wie geht es nun weiter? Das 3. Overather Jagdforum hat ein klares Statement abgegeben. Letztlich hat aber die Politik zu entscheiden. Aus wissen-schaftlicher Sicht – so der Tenor der Experten – wäre ein Gewerbegebiet an dieser Stelle ein Fiasko. Es widerspräche den Vorschriften des Bundesnaturschutz-gesetzes, das ausdrücklich ein barrierefreies Wandern wildlebender Tierarten ermöglichen soll.
Die gesetzliche Verpflichtung, einen artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen zu gewährleisten, würde konterkariert.
Die gesetzliche Verpflichtung, einen artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen zu gewährleisten, würde konterkariert.
Nun ist aber insbesondere der Rothirsch eine Tierart, die seit jeher weite Wanderungen durchführte, um sich mit benachbarten Populationen zu verpaaren. Für das einzelne Tier mag das eine echte Lustreise sein; für den Gesamtbestand ist jeder dieser Ausflüge überlebensnotwendig. Isolierte Populationen leiden bereits nach wenigen Generationen an den Folgen der Inzucht. Der gesamte Bestand wird anfällig für Missbildungen und Krankheiten. Vor diesem Hintergrund sind die amorösen Wanderungen weder Incentivereisen für besonders mutige und abenteuerfreudige Hirsche noch eine bloße Laune der Natur; sie stellen vielmehr den notwendigen Blutaustausch und die genetische Vielfalt der Population sicher.
Die Bürger Overaths dürfen gespannt sein, ob die von ihnen gewählten Politiker wirklich zum Rütlischwur bereit sind, ob sie sich tatsächlich dazu durchringen können, einen nicht reparablen Schaden für Tiere, Natur, Umwelt und letztlich auch für den Menschen abzuwenden. Denn klar ist: die Stadt Overath schüfe durch das Gewerbegebiet ein Ghetto, in dem das Rotwild immer mehr einer genetischen Verarmung und damit der Inzucht ausgesetzt sein wird.
Manch ein Zuhörer sieht allein darin bereits den Tatbestand einer fahrlässigen und damit justiziablen Tierquälerei erfüllt. In jedem Fall aber ist ein komplett eingegatterter Tierbestand eine ernste Gefahr für das Fortbestehen der größten und für Viele auch der imposantesten heimischen Wildtierart – dem Rothirsch.